Instruktive Meisterwerke aus der modernen Schachpraxis

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Von Igor Stohl

368 Seiten, kartoniert, deutsche Erstausgabe 2003, original erschienen 2001

Gambit Publications Ltd


Igor Stohl hat 50 herausragende Partien aus jüngerer Zeit einer tiefschürfenden Analyse unterzogen und präsentiert in diesem Buch seine Ergebnisse. Die Partien haben einen hohen Unterhaltungswert und sind mit instruktiven und aufschlussreichen Anmerkungen versehen. Da Stohl ein führender Theorieexperte ist, liest sich die Eröffnungsphase jeder Partie wie eine Lehrstunde über die strategischen Schlüsselmerkmale der gespielten Eröffnung inklusive einer kritischen Betrachtung moderner Trends. Der Autor nimmt Mittelspiel und kritische Entscheidungen genau unter die Lupe und lädt den Leser dazu ein, ihn auf seiner Suche nach der Wahrheit in sein Labor zu begleiten. Die Endspielphase wird mit gleicher Sachkenntnis abgehandelt und gibt Aufschluss darüber, wie Großmeister mit Fragen der Technik umgehen. Im Anschluss an jede Partie werden die wichtigsten daraus zu ziehenden Lehren erörtert.

Igor Stohl ist ein bekannter Großmeister aus der Slowakei, der bei der Juniorenweltmeisterschaft 1982 den zweiten Platz belegte. Er spielt in mehreren internationalen Ligen und hat sich einen Namen als Eröffnungstheoretiker gemacht. Seine gründlichen Anmerkungen erscheinen häufig in Ceskoslovensky Sach, Informator und Chessbase Magazin.

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Einführung

Da die Entstehungsgeschichte des vorliegenden Buchs recht lang ist, fange ich am besten ganz von vorne an. Im Jahre 1993 gelang es Ivan Hausner, dem Verleger und Chefredakteur von Ceskoslovensky Sach, mich als festen Mitarbeiter für seine Zeitschrift zu gewinnen. Wir einigten uns schnell auf ein Format für meine Kolumne in dem monatlich erscheinenden Magazin, das es schon seit 1927 gibt und damit auf die längste Tradition eines Schachmagazins auf tschechoslowakischem Gebiet zurückblicken kann. Als ich Mitte der 1970er Jahre mit dem Schachspielen begann, gefiel mir in Ceskoslovensky Sach die "Partie des Monats" am besten, eine mit ausführlichen Analysen versehene aktuelle Spitzenbegegnung. Ab Januar 1994 ließ ich diese Tradition wieder aufleben und habe seitdem mit großem Vergnügen zumeist sehr aufregende Großmeisterduelle unter die Lupe genommen. Der Reaktion der Leser nach zu urteilen, die mir Fragen über einige feinere Aspekte der Partien stellten und mitunter sogar Briefe an die Redaktion verfassten, wurden meine Anmerkungen ziemlich populär.

Als sich die Leute vom Gambit-Verlag im Jahre 1999 bei mir über ein mögliches Thema für ein Buch erkundigten, das ich für sie schreiben könnte, schlug ich ohne große Hoffnung auf Erfolg eine Überarbeitung meiner Magazinanmerkungen für eine Partiensammlung vor. Nach Ablieferung einer Arbeitsprobe erhielt ich zu meiner Überraschung eine enthusiastische Antwort, und nach weiteren Diskussionen über Format und Umfang des zukünftigen Buchs kam es dann auch im September 1999 zur Vertragsunterzeichnung. Jetzt musste ich das Buch nur noch schreiben.

Dies erwies sich aber als gar nicht so einfach. "Die Analyse und Kommentierung von Partien ist ein kontinuierlicher Prozess. Man ist nur selten mit einer Partie wirklich fertig. Im Lauf der Zeit können neue Ideen auftauchen oder analoge Situationen zu einem tieferen Verständnis führen". Diese Worte des hochgeschätzten Autors und Analytikers Jan Timman aus dem Schachmagazin New in Chess kamen mir im Laufe des Jahres 2000 mehr als einmal in den Sinn. Die ursprünglichen Magazinanmerkungen mit ihren unvermeidlichen räumlichen und zeitlichen Beschränkungen wurden lediglich zum Ausgangspunkt für weitere Arbeiten mit dem Endziel, der "ultimativen" Wahrheit viel näher zu kommen. Die heutzutage unentbehrliche elektronische Unterstützung lieferten ChessBase und Fritz. Übrigens bildet eine Kombination aus einer geeigneten Schachdatenbank und einem Schachprogramm zusammen mit einem Schachbrett auch die beste Methode zum Studium dieses Buchs.

Die in diesem Buch vorgestellten 50 Partien sind chronologisch geordnet. Bei der Auswahl sowohl für die ursprüngliche Veröffentlichung in Ceskoslovensky Sach als auch später für das Buch musste ich zwangsläufig sehr subjektiv verfahren. Nach Ansicht der Leser mögen zwar einige besonders brillante Leistungen aus dem Zeitraum 1994-2000 fehlen, aber meiner Meinung nach haben die ausgewählten Partien einen hohen Lehrwert und liefern eine gute Illustration aller wichtigen Aspekte des modernen Schachs.

Instruktive Meisterwerke aus der modernen Schachpraxis soll kein Eröffnungsbuch sein, aber der zunehmend eröffnungsorientierte Charakter des Schachs im Kasparow-Zeitalter lässt sich nicht abstreiten. Daher war manchmal nicht nur eine gründliche Aktualisierung des Kommentars zur Eröffnung gegenüber den ursprünglichen Anmerkungen notwendig, sondern zuweilen auch eine ausführliche Analyse der Eröffnungsphase, um die ganze Partie im richtigen Zusammenhang zu präsentieren. Trotzdem liegt das Schwergewicht des Buchs ganz eindeutig auf den späteren Partiephasen. Natürlich machte ich nicht nur von meinen früheren Anmerkungen Gebrauch, sondern auch von anderen mir zugänglichen Quellen, insbesondere von den Anmerkungen der Spieler selbst. Daraus erhielt ich wertvolle Informationen, deren jeweilige Quelle ich im Text nach

Möglichkeit angegeben habe. Dies diente jedoch häufig lediglich als Ausgangspunkt für meine Arbeit; selbst der wissbegierigste und mit einer guten Bibliothek ausgestattete Leser wird in diesem Buch eine Menge relevanter zusätzlicher analytischer Informationen über praktisch jede Partie vorfinden.

Die Zusammenfassung nach jeder Partie gibt einen kurzen Überblick über die wichtigsten und kritischsten Momente des Kampfes. Außerdem werden die von den Spielern begangenen Fehler und Ungenauigkeiten aufgezeigt und deren Hauptursachen gesucht. Verstöße gegen allgemeine Prinzipien werden nach Möglichkeit offengelegt, was wertvolle praktische Hinweise bezüglich der Vermeidung ähnlicher Fehler liefert. Es ist jedoch nicht immer einfach, die häufig hochintuitiven Entscheidungen der heutigen Elite in Worte zu fassen. Schach ist heutzutage sehr scharf und konkret geworden. Die Partien in diesem Buch zeigen des öfteren, dass der Beweis einer scheinbar einfachen positionellen Einschätzung wie "Weiß steht besser" häufig die Durchquerung eines komplexen taktischen Labyrinths erfordert, in dem man sich selbst in der Analyse und erst recht am Brett bei laufender Uhr nur schwer zurechtfindet. Die Spitzenspieler wissen dies und gehen häufig sogar beträchtliche Risiken ein, um die Stellung aus dem Gleichgewicht zu bringen und sich Gewinnchancen zu verschaffen. Dabei verstoßen sie zuweilen gegen positionelle und strategische "Regeln", die einst als universell gültig galten. An der Fähigkeit, Gelegenheiten zu wittern, in denen Ausnahmen von "Regeln" zum Erfolg führen können, erkennt man einen großen Meister.

Das hervorragende Buch Geheimnisse der modernen Schachstrategie von John Watson beschäftigt sich mit verschiedenen strategischen Themen und Motiven, die anhand von sorgfältig ausgewählten und instruktiven Beispielen erläutert werden. Das vorliegende Buch ist ganz anders aufgebaut; es kann gar nicht so systematisch sein, da es sich auf die praktische und analytische Seite des Spiels konzentriert. Ein typisches Merkmal des modernen Schachs ist seine Komplexität; heutzutage wird eine Partie zwischen ebenbürtigen Gegnern nur sehr selten durchweg von einem einzigen Thema dominiert. Flexibilität hat üblicherweise Vorrang vor langfristiger Planung; insbesondere irrationale und spannungsgeladene Aufeinandertreffen sind reich an taktischen und strategischen Motiven. Trotzdem gibt es in vielen Partien im Buch ein bedeutsames hervorstechendes Merkmal, das wiederum im modernen Schach insgesamt eine wichtige Rolle spielt. Um nur einige wenige Beispiele aufzuführen: intuitive Opfer (Partien 7, 19, 43 und 44), hervorragende Endspieltechnik (Partien 22 und 36), tiefe Computeranalyse der Eröffnung (Partie 47) und des Endspiels (Partie 46), materiell unausgeglichene Stellungen (Partien 26 und 27) usw. Und bei ungünstigem Verlauf kann man sich manchmal mit heroischer Verteidigung (Partie 30) noch retten.

Ich möchte mich bei all meinen Freunden bedanken, die im letzten Jahr mit mir Geduld hatten und es mir nachsahen, dass ich nicht nur unablässig über die Arbeit am Buch schwafelte, sondern auch imstande war, eine Unterhaltung mitten im Satz abrupt abzubrechen, wenn mir gerade eine interessante Variante in den Sinn gekommen war. Weiteres rüpelhaftes Verhalten wurde liebenswürdigerweise meinen "Schaffensqualen" zugeschrieben. Besondere Anerkennung gebührt meinen Verlegern und Editoren John Nunn und speziell Graham Burgess, der mich mit der richtigen Mischung aus Ermunterung und Bestimmtheit wieder auf Trab brachte, wenn meine Energie zu versiegen drohte. Er verbesserte nicht nur den allgemeinen Stil des Buchs (Englisch ist nun einmal nicht meine Muttersprache), sondern zusammen mit John durch eine Reihe von sachdienlichen Fragen und Vorschlägen auch den schachlichen Inhalt. Jegliche Fehler, die sich in den Text eingeschlichen haben, gehen ausschließlich auf mein Konto und nicht etwa zu Lasten meiner gewissenhaften Editoren.

Ich hoffe, dass Sie dieses Buch mit Vergnügen lesen und die gleiche Art von Aufregung und Genugtuung erfahren, die mir die Entdeckung der Geheimnisse und das Verständnis der inneren Logik dieser faszinierenden Partien bereitete.

 

Igor Stohl Bratislava, Februar 2001

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